Die Nachhaltigkeitsdebatte in der Schuldnerberatung

„Nachhaltigkeit in der Schuldnerberatung? Ja klar, das Thema ist total wichtig! Dass unsere Ratsuchenden möglichst lange ohne Überschuldung leben.“

So hat meine Kollegin geantwortet, als ich ihr berichtete, dass ich etwas zu diesem Thema für die iff-Tagung machen werde.

Meine Kollegin arbeitet seit über 30 Jahren in dem Job. Privat hat sie sich über die Jahre immer wieder ökologisch engagiert. Sie verstand aber nicht, dass ich über etwas ganz Anderes sprechen wollte.

„Kann es sein,“, fragte ich sie, „dass wir bei Nachhaltigkeit in der Schuldnerberatung nie über Dinge reden, wie die Klimadebatte, die Ökologiedebatte, Fridays for Future und so weiter? Die Nachhaltigkeitsdebatte?“.

Stille.

Dann die Antwort: „Das kann nicht nur sein, das ist so.“

Ich hakte ein: „Dann ist es doch viel spannender, zur Nachhaltigkeitsdebatte und was diese mit Schuldnerberatung zu tun haben könnte einen Diskussionsimpuls zu machen“.

Ich startete eine Wortsuche rund um Schuldnerberatung. Kamen Begriffe wie Ökologie, ökologisch, Klima und Nachhaltigkeit bei uns überhaupt vor? Die Antwort: Nein! Nur hin und wieder begegnete mir das Wort Nachhaltigkeit, aber nie im ökologischen Sinn.

Man bekommt in der Literatur von Platon bis hin zur Agenda 2030 einen ganz guten Überblick. Während Nachhaltigkeit anfangs noch mit Forstwirtschaft verwoben war geht es nun um einem Begriff, der alle Bereiche des Zusammenlebens erfasst.

Grundmodell der Nachhaltigkeit

In einem Gespräch mit der Nachhaltigkeitsbeauftragten der Stadt erfuhr ich dann noch mehr. Wir haben uns ein Grundmodell der Nachhaltigkeit angeguckt und in einem ersten Schritt auf Schuldnerberatung übertragen. Das Grundmodell sagt, dass etwas dann nachhaltig ist, wenn es in drei Dimensionen gut funktioniert: sozial, ökonomisch und ökologisch.

Aufgrund dieses Konzepts haben wir über die Tätigkeit der Schuldnerberatung gesprochen. Hat Schuldnerberatung eine ökonomische Dimension? Klar. Das ist Kern unseres Beratungsprozesses. Hat Schuldnerberatung eine soziale Dimension? Auch klar! Wir geben uns viel Mühe nach dem Konzept der sozialen Schuldnerberatung zu arbeiten. Und die ökologische Dimension? Na gut, ok, darüber müssen wir sprechen.

„Macht ihr denn gar nichts, was eine ökologisch nachhaltige Dimension hat? Oder zufällig doch?“, die Frage der Nachhaltigkeitsbeauftragten lag auf der Hand.

Ich nahm einen Schluck Kaffee, der selbstverständlich fair trade und bio war und auch in Göttingen geröstet wurde. „Naja.“, antwortete ich. „Schnittstellenarbeit. Das ist auch manchmal ökologisch. Schuldnerberatung bringt immer Schnittstellenarbeit mit sich. Wir verweisen Ratsuchende an andere Stellen und Projekte. Dabei haben wir in Beratungsstellen wie der unseren, die in diesem Jahr dreißigjährigen Geburtstag feiert, teilweise seit Jahrzehnten etablierte Netzwerke in jegliche Richtungen. Anwälte, Ansprechpartner im Gericht, Kontakte zu Krankenkassen, Kontakte in den Strafvollzug, ambulante Hilfen, Wohnungslosenhilfen, Straßensozialarbeit, Bildungsträger und so weiter. Zu den vielen etablierten Partnern sind auch welche aus dem Bereich „Hippe Weltverbessererprojekte“ hinzugekommen. Projekte, bei denen es um Nachhaltigkeit geht.“

Starke Partner

Ich erklärte der Nachhaltigkeitsbeauftragten zum Beispiel, dass wir an die Energieberatung verweisen. Ein Projekt, bei dem ein Energieberater in den Haushalt kommt und sich anguckt, wo Energie gespart werden kann. So ein Energieberater hat dann auch eine Geschenkekiste dabei. Hilfsmittel zum Energiesparen wie Mehrfachsteckdosen, LED Lampen, Wasseraufwirbler usw.. Oft genug verweise ich meine Ratsuchenden an sie und am Ende spart man mit ihrer Hilfe nicht nur Energie, sondern eben auch Geld.

Der Nachhaltigkeitsbeauftragten sagte ich: „Da freut sich der Geldbeutel (ökonomisch). Da freut sich das Klima (ökologisch). Und im besten Fall gibt es auch noch ein nettes Gespräch (sozial). Kann man nicht aus der Tatsache, dass ich in meiner Arbeit als Schuldnerberater den Weg zur Energieberatung ebene, sagen, dass meine Arbeit auch einen ökologischen Aspekt hat, also nachhaltig ist?“

Das fand die Nachhaltigkeitsbeauftragte interessant. „Im Prinzip ist das natürlich so. Mir war das gar nicht so bewusst, wie vernetzt man als Schuldnerberater arbeitet. Und ja, klar, wenn das Teil der Arbeit ist, die Energieberatung in den Beratungsprozess mit einzubauen, dann hat der Beratungsprozess an der Stelle auch eine ökologische Dimension und der gesamte Beratungsprozess wird nachhaltiger.“

Ich glaube, das war die Stelle im Gespräch, als meine Kaffeetasse leer war und ich eine nächste Tasse einschenkte. Es war richtig gemütlich und ich hatte das Gefühl, dass sich eine neue Sicht der Dinge auf meine Tätigkeit als Schuldnerberater eröffnete.

Food SharingWir sind dann noch weitere Netzwerkpartner durchgegangen. Wir haben einige gefunden, bei denen es diese ökologische Dimension gibt. Was ich dann ganz besonders spannend fand, war eine Erkenntnis, die wir bei dem Vergleich von einem Foodsharing Projekt und den Tafeln gewonnen haben. Vergleich:

Tafeln und Foodsharing-Projekte

Bei den Tafeln wird Essen vor der großen bösen Mülltonne gerettet, bei dem Foodsharingprojekt auch (ökologisch). Bei den Tafeln muss man nichts für das Essen zahlen, beim Foodsharing auch nicht (ökonomisch). Und die soziale Dimension? Ist die bei beiden Projekten auch vergleichbar?

Ich kann mich an eine Ratsuchende erinnern, die ich zu den Tafeln schicken wollte und die mir sagte: „Da gehe ich nicht hin. Nicht, dass ich gesehen werden.“ Es scheint sich nicht für alle Menschen gut anzufühlen, zu den Tafeln „gehen zu müssen“. Genau kann ich nicht begründen, warum das so ist. Ich möchte da auch nichts Falsches behaupten, denn klar ist, dass die Tafeln total wichtige, fast schon quasistaatliche Institutionen sind. Trotzdem fällt mir auf, dass ich beim Foodsharing ein anderes Miteinander erlebt habe als bei den Tafeln.

Beim Foodsharing trifft man eben auch Leute, die nicht aus der Not heraus dahingehen. Insbesondere trifft man bei uns in Göttingen viele Studenten. Die sind vielleicht auch dort, weil es kostenloses Essen gibt, aber das ist nicht der Hauptgrund. Es geht darum, das Richtige zu tun. Ich muss an dieser Stelle an ein Gespräch denken:

Ein Student erklärte mir Grundsätzliches: „30 – 40 Prozent der Nahrung wird weltweit weggeworfen! Und das, wo ca. 10 Prozent des weltweiten Klimagases direkt bei der Nahrungsmittelproduktion erzeugt wird! Da will ich nicht mitmachen und ich finde es gut, dass du da auch nicht mitmachst!“ Das hatte mir der Student gesagt und das hat sich gut angefühlt. Wir sind jedenfalls schön übers Weltverbessern ins Gespräch gekommen, ein Gespräch, was so bei den Tafeln vermutlich eher seltener vorkommt.

Perspektivenwechsel

Kann man verstehen, worauf ich hinaus möchte? Was mir aufgefallen ist, wenn ich Foodsharing mit den Tafeln auf diese Art vergleiche? Der Nachhaltigkeitsbeauftragten sage ich es ungefähr in diesen Worten: „Ich finde das hochspannend, dass eine andere Dimension als die ökologische entscheidend sein kann, ob etwas mehr oder weniger nachhaltig ist. Das hatte ich vorher gar nicht so präsent. Für uns als Schuldnerberatung ist das doch eigentlich total motivierend. Ökonomisch und sozial können wir. Wenn wir jetzt noch im ökologischen besser werden, dann haben wir großes Potential, ein wirklich nachhaltiges Business zu sein, eine wirklich nachhaltige Beratungsleistung anzubieten, eine wirklich nachhaltige Tätigkeit zu machen.“

Mit dieser für mich wirklich motivierenden Erkenntnis verließ ich die Gründerzeitvilla. Wer Göttingen kennt, der weiß, dass es vom neuen Rathaus bis zu dem AWO Beratungszentrum am Güterbahnhof noch ein gutes Stück zu gehen ist. Zeit zum Nachdenken:

„Wie wäre es, wenn ich die Nachhaltigkeitsbeauftragte von eben mit einer bestimmten Fragestellung in unser Team einlade: welche Projekte kennst du, die für die Schuldnerberatung interessant sein könnten? Und wie wäre es, wenn ich nicht nur sie, sondern auch unsere Kollegen aus den Nachbarschaftsbüros, Quartiersmanagement, Familienzentren mit derselben Frage zu uns ins Team einlade? Am Ende könnte eine schöne Liste von Netzwerkpartnern entstehen, an die wir regelmäßig und strukturiert verweisen.“

Nachhaltigkeit im Beratungsgesspräch

Frau mit SchuldenOffen war noch die Frage, ob man das Thema Nachhaltigkeit auch direkt in das Beratungsgespräch einbauen sollte. Über die Frage habe ich erst später mit meinen Kollegen gesprochen. Auf der einen Seite liegt auf der Hand, dass es eine inhaltliche Schnittmenge von nachhaltiger Lebensführung und dem gibt, was wir in der Schuldnerberatung immer wieder als Thema mit unseren Ratsuchenden haben. Nachhaltig zu leben, bedeutet wenig(er) zu konsumieren und das bedeutet, weniger Geld auszugeben. Die Frage wäre aber, ob man es in der Beratung hinbekommt, diesen Punkt ohne Zynismus rüber zu bringen. Wenn das gelänge, wäre es vermutlich ein zielführender Beratungsinhalt: Einem Ratsuchenden, der sagt: „Herr Bode, mir geht es nicht gut, ich bin so dermaßen in der Krise. Geld habe ich nicht mehr genug. Früher konnte ich mir noch ganz andere Dinge leisten. Da ging es mir besser.“ zur Erkenntnis zu verhelfen: „Mensch, so wie du jetzt lebst, ist das doch viel besser. Fürs Klima, für die Umwelt, für deinen Geldbeutel, für das Soziale und für dich selbst erst recht. Freu dich daran. Genieße es.“ Das wäre eine große Leistung.

Nebenbei bemerkt gibt es nicht nur zur Nachhaltigkeit eine große Schnittmenge, sondern auch zu anderen neueren Trends. Stichworte: Minimalismusdebatten wie Simplify you Life, Magic cleaning etc.

Für das Thema Nachhaltigkeit wäre mein Vorschlang, dass man mindestens mit den Ratsuchenden inhaltlich arbeiten kann, bei denen das Thema Nachhaltigkeit ohnehin eine große Bedeutung hat. Wenn die Werte und Normen vorhanden sind, dann kann man anknüpfen und versuchen, darüber zu sprechen, ohne dass es zynisch klingt. Kernbotschaft: Weniger und bewusst Geld ausgeben kann ein gutes Leben in einer guten Umwelt bedeuten.

Das wäre jedenfalls meine Idee dazu. Man braucht noch kein ausgearbeitetes Konzept, man muss jetzt mal ein bisschen mutig sein, ein paar Dinge ausprobieren und gucken, wie man das in die Beratung einbauen kann. Einfach mal machen. Niedrigschwellig. Das gilt sowohl für Berater, als auch für Ratsuchende.

Das nächste Thema wäre, sich auch als Schuldnerberatung damit zu beschäftigen, was ein Nachhaltigkeitsbeauftragter in Unternehmen macht. Auch Schuldnerberatungsstellen können ihre Prozesse durchleuchten, welche ökologischen und letztlich nachhaltigen Auswirkungen sie haben.

Sicherlich sind die einzelnen Beratungsstellen unterschiedlich weit bei diesem Thema – das hängt natürlich auch von den Entscheidungsprozessen ab. Aber aus meiner Sicht geht es darum, niedrigschwellig ins Handeln zu kommen. Offen sein, etwas ausprobieren, Erfahrungen sammeln. Ich mache ein paar Beispiele.

Drucker aus den Büros raus und dafür zentrale Drucker einrichten, deren Standardeinstellung ist, dass zweiseitig gedruckt wird. Zwei große Landesämter haben mir berichtet, mit dieser Maßnahme 25 % der Druckkosten eingespart zu haben.

Statt die Forderungsaufstellung auf den Kopierer zu legen, kann man sie auf den Scanner legen. Tenor: Wie viele Kopien von Unterlagen brauchen wir wirklich für unsere Akten?

Elektronischer Datenaustausch statt Briefe schreiben? Zum Beispiel mit dem Kurznachrichtendienst von Signal.

Heimarbeit und digitaler Austausch sparen Pendel- und Reisewege ein.

Ökostrom in der Beratungsstelle? Weiß man überhaupt, mit welcher Art von Strom die eigene Beratungsstelle betrieben wird? War das ein Thema?

Teeküche, Konferenz und Co: Häppchen in Konferenzen auch ohne Fleisch? Wasser aus Plastikflaschen? Biokaffee in der Teeküche?

Ecosia als Standardsuchmaschine statt Google? Ecosia pflanzt von dem Gewinn Bäume, Google macht seine Shareholder reicher.

Jobrad-Förderung nutzen, um klimafreundliche Mobilität zu fördern und Mitarbeiterzufriedenheit zu steigern.

Die Büroreinigungskraft als sogenannte Ökoreinigungskraft; was, so wie ich das verstanden habe, bedeutet, sie verwendet ökologisch vorteilhaftere Putzutensilien.

Und so weiter.

Vielleicht könnten dazu auch ein paar Checklisten erarbeitet werden. BAG-SB, LAG-SB, Koordinierungsstellen, LAG-FWs, AGSBV?

Was habe ich bis hierhin gemacht?

Ich habe angefangen, dass wir in der Schuldnerberatung bisher gar nicht darüber reden, was die Nachhaltigkeitsdebatte mit Schuldnerberatung zu tun haben könnte. Dann habe ich das Modell der Nachhaltigkeit mit den drei Dimensionen kurz eingeführt und auf die Schuldnerberatung übertragen. Ergebnis: Im Bereich Soziales und Ökonomisches haben wir schon einiges zu bieten, über den Bereich Ökologisches müssen wir reden. Immerhin verweisen wir bereits in einige Projekte, die nachhaltig sind. Möglich wäre außerdem, das Thema Nachhaltigkeit in Beratungsgespräche zu integrieren. Ein anderes Thema wäre, die ökologischen Auswirkungen unserer Tätigkeit anzupassen. Was es braucht, sind Offenheit und Motivation.

Jetzt zum Abschluss, noch ein Argument, warum wir über kurz oder lang gezwungen sein könnten, uns mit dem Thema zu beschäftigen. Denn: was ist, wenn wir nur dann Gelder für unsere Tätigkeit bekommen, wenn wir auch etwas Nachhaltiges damit vorhaben? Als Schuldnerberatung ist man weitestgehend von der öffentlichen Hand abhängig. In den letzten Jahren sieht man in vielen Bereichen der Vergabe von öffentlichen Geldern, das Gelder danach verteilt werden, ob der Bewerber (auch) etwas zum Thema Nachhaltigkeit zu bieten hat. Auf der iff-Tagung 2020 konnte man dazu viele Beispiele hören. Es ist nicht die Frage, ob auch in der Schuldnerberatung Gelder an nachhaltiges Arbeiten gekoppelt werden. Die Frage ist, wann das passiert.

Letztlich ist die Frage: ob Schuldnerberatung ohne Antwort zum Thema Nachhaltigkeit zukunftsfähig ist? Oder positiv gedreht: Wir können uns als eine Art Nachhaltigkeitsmotor in bestimmten Bereichen der Gesellschaft etablieren, in die das Thema ansonsten nur schwer etabliert werden kann.

Mein Fazit: Es gibt genug Gründe, Nachhaltigkeit in die Schuldnerberatung zu integrieren. Fangen wir zumindest an, darüber zu reden!

 

Autor: Thomas Bode, Leitung der Schuldnerberatung der AWO Göttingen und Referent für Schuldnerberatung des AWO BZ Hannover.

 

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