Careleaver
Mit dem Auszug aus dem Heim und dem Austritt aus der Jugendhilfe müssen die Bewohner:innen viele Dinge regeln. Als sogenannte Careleaver bekommen sie häufig weniger Unterstützung von ihren (Herkunfts-)Familien als andere junge Menschen. Der Verein Careleaver e.V. unterstützt junge Menschen auf diesem Weg. Wir haben mit Andrea Edler von Careleaver e.V. gesprochen.
Was steckt hinter Careleaver e.V., Frau Edler?
Der Begriff „Careleaver“ stammt aus dem Englischen und heißt wortwörtlich übersetzt „Fürsorge-Verlasser“ (Care-Leaver). Careleaver sind Menschen, die einen Teil ihres Lebens in einer Pflegefamilie
oder einer Einrichtung der Jugendhilfe verbracht haben und diese auf dem Weg in ein eigenständiges
Leben wieder verlassen. Dieser Übergang ist mit vielfältigen Herausforderungen verbunden, die
Careleaver im Gegensatz zu ihren gleichaltrigen Peers oft alleine bewältigen müssen.
Der Verein Careleaver e. V. ist die bundesweite Interessenvertretung für Careleaver. Wir setzen uns
gemeinsam für unsere Rechte und dafür ein, Hilfen für junge Volljährige und Übergänge aus der
Jugendhilfe zu verbessern. Der Verein ist fachpolitisch aktiv, Mitglied in unterschiedlichen Gremien
und Fachbeiräten und arbeitet eng mit freien und öffentlichen Trägern der Kinder- und Jugendhilfe
zusammen. Wir wollen öffentlicher Stigmatisierung etwas entgegensetzen und durch unsere
Expertise mit dafür sorgen, dass die Hilfen beim Übergang für Careleaver verbessert werden. Wir
wollen uns vernetzen und einen Raum schaffen, der uns über den Übergang aus der Jugendhilfe in
die Selbständigkeit hinaus eine Gemeinschaft bietet. Ein Raum, in dem wir uns mit anderen
Careleavern über unsere Geschichten und unsere spezifischen Erfahrungen austauschen und uns
auch gegenseitig unterstützen können.
Entstanden ist unser Netzwerk aus dem Forschungsprojekt „Higher Education for Care Leavers
without Family Support“ an der Universität Hildesheim.
Was sind die besonderen Herausforderungen für Careleaver?
Für viele Menschen ist es ganz selbstverständlich, mit den eigenen Eltern bis weit ins
Erwachsenenleben hinein eng verbunden zu sein. Diese Verbindung gibt vielen einen inneren Halt,
unabhängig davon, ob sie auch weiterhin finanzielle Unterstützung miteinschließt oder nicht. Allein
zu wissen, es gibt da einen Ort, an dem ich immer willkommen bin und an dem ich Hilfe bekomme,
wenn ich sie brauche, macht einen enormen Unterschied. Auch was sich ein junger Mensch
überhaupt zutraut wird dadurch beeinflusst.
Diejenigen, die diese Ressource haben, sind sich darüber meistens gar nicht bewusst. Careleaver
spüren dagegen wie schwierig es ist, als junger Mensch ganz auf sich allein gestellt zu sein. Wenn es
keinen Ort gibt, wo man notfalls nochmal für ein paar Wochen hinziehen kann oder wo man ganz
selbstverständlich Weihnachten verbringt.
Konkret liegen die Hürden oft bei der Finanzierung und Bewältigung von Übergängen. Zum Beispiel
zwischen FSJ und Studium, oder Schulabschluss und Ausbildungsbeginn. Weniger handfest aber nicht
minder ausschlaggebend ist der fehlende emotionale Rückhallt.
Wie ist es um das Thema Geld bestellt?
Das kommt darauf an. Es gibt typische für Careleaver spezifische finanzielle Engpässe, die deshalb
schnell existenziell werden können, weil Careleaver kein soziales Auffangnetz haben, das einspringt.
Das betrifft vor allem den Übergang aus der Jugendhilfe in die Eigenständigkeit. Jemand beginnt ein
Studium, wird dafür auch Bafög erhalten, bloß dauert es, bis der Antrag bewilligt und das erste Geld
auf dem Konto ist. Das sind für Careleaver häufig sehr schwierige Übergangszeiten, die sie
organisieren und ohne Hilfe von außen auch finanzieren müssen.
Junge Careleaver sind außerdem tendenziell ärmer als ihre gleichaltrigen Peers. Warum? Sie haben
kein finanzielles Polster, das die Eltern, die Oma oder sie selbst für sich ansparen konnten. Zumindest
war das bisher so, da sie bis zu 75% ihres Einkommens abgeben mussten, so lange sie noch in der
Jugendhilfe lebten. Diese Heranziehung fällt ab Januar 2023 weg und wir hoffen sehr, dass es so
künftig auch Careleavern gelingen wird, ein finanzielles Polster für Notfälle anzulegen.
Ansonsten sind Careleaver keine homogene Gruppe. Sie eint, dass sie alle für kurz oder länger in
einer Einrichtung oder Pflegefamilie gelebt haben. Das schließt häufig traumatisierende Erlebnisse in
ihrer Kindheit mit ein. Darüber hinaus sind sie aber natürlich so unterschiedlich wie unsre
Gesellschaft überhaupt, und genauso unterschiedlich ist es bei Careleavern auch um das Thema Geld
bestellt. Wir haben bei uns im Verein unter den Mitgliedern die ganze Bandbreite an
unterschiedlichen Berufen und damit einhergehenden unterschiedlichen Verdienstmöglichkeiten.
Wo gibt es Anlaufstellen und Informationen?
Das neue Kinder und Jugendstärkungsgesetz setzt einen größeren Fokus auf den Bereich des „Leaving
Care“, damit einher geht auch, dass es künftig vielleicht flächendeckend Anlauf- und Beratungsstellen
für Careleaver geben wird. Bisher ist das Angebot noch sehr lückenhaft, wobei Careleaver natürlich
sämtliche andere Beratungsangebote für ihr jeweiliges Anliegen in Anspruch nehmen können. Was
fehlt, ist aber in der Regel der auf sie zugeschnittene Beratungshintergrund.
Der Careleaver e.V. hat deshalb sein Beratungsangebot ausgeweitet, Careleaver können sich mit
allen Fragen an den Verein wenden. Unsere Sozial- und Schuldnerberaterin bietet Careleavern
niedrigschwellig Kontakt an, gibt Informationen und hilft, für Probleme Lösungen zu finden. Wenn
nötig, ebnet sie den Weg zu anderen Stellen
Aktuell entstehen an unterschiedlichen Orten außerdem spezifische Angebote für Careleaver, die
aber sehr unterschiedliche Ausrichtungen haben. Anlaufstellen für Careleaver gibt es z.B. in
Frankfurt, von der Stiftung Waisenhaus, und in Dresden, vom Kinder- und Jugendhilferechtsverein.
Auf der Homepage des Careleaver e.V. können sich Careleaver auf einer bundesweiten Landkarte
über alle hilfreichen Projekte informieren.
Was könnte man für Careleaver verbessern?
Es gibt viele Dinge, die für Careleaver verbessert werden können. Unser aktuelles Positionspapier
weist sieben Forderungen auf, u.a. ein eigener Rechtsstatus für Careleaver, mehr Partizipation und
mehr Kontinuität in der Begleitung.
Da sich Ihre Stiftung für finanzielle Bildung engagiert, möchte ich ein Beispiel aus diesem Bereich
nennen. Neulich wurde im Bundestag nochmal über die Abschaffung der Kostenheranziehung
diskutiert und ein Experte kritisierte tatsächlich, dass wenn die jungen Menschen in Einrichtungen
mehr Geld zur Verfügung hätten, dies zu einem pädagogischen Mehraufwand führen würde. Weil die
jungen Leute dann auch im Umgang mit diesem Geld beraten und geschult werden müssten.
Wir fanden das insofern ziemlich entlarvend, weil es aufzeigt, dass finanzielle Bildung (die sonst im
Elternhaus stattfindet) in der Jugendhilfe bisher keinen Platz hat. Man findet es einfacher, jungen
Menschen kein eigenes Geld zu überlassen, damit man nicht mit dafür verantwortlich ist, wie sie
damit umgehen? Blöd nur, dass es genau die jungen Menschen sind, die, sobald sie die Hilfe
verlassen, in finanzieller Hinsicht 100 Prozent selbstverantwortlich agieren müssen. Wir haben in
unserer Stellungnahme zu dieser Anhörung dann klargestellt: Wir sind gegen die Kostenheranziehung
und für den pädagogischen Mehraufwand. Weil wir es enorm wichtig finden, dass Careleaver vor
ihrem Auszug in Sachen Geld und Finanzen besser vorbereitet werden.