„Es ist sehr schwierig von 900 Euro Ausbildungsgehalt die Miete zu finanzieren“
Interview mit Anna (Name von der Redaktion geändert), die nach vielen Jahren als Pflegfachhelferin aktuell eine Ausbildung zur Pflegefachfrau macht, um in Zukunft bessere Verdienst- und Aufstiegschancen zu haben.
Hast du Armut persönlich erlebt oder kennst du Auszubildende, die von Armut bedroht sind?
Ja, es gibt immer wieder Leute in der Ausbildung, die mit finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen haben. Manche Azubis wohnen noch zuhause, um Geld zu sparen. Es ist eine finanzielle Belastung, wenn man alleine wohnt. Da ich bereits die zweite Ausbildung mache, habe ich keinen Anspruch mehr auf Bafög. Ich persönlich musste bereits vor dieser Ausbildung einen Nebenjob annehmen, bei dem ich eine Unterkunft und Verpflegung gestellt bekommen habe. Somit war es am Anfang für mich einfacher, mit nur 900€ Nettoausbildungsgehalt auszukommen.
Welchen Nebenjob hast du denn gemacht?
Ich habe ein älteres Ehepaar gepflegt und bei ihnen zuhause gewohnt. Dort bin ich 2020 kurz vor der Pandemie eingezogen, da ich auf Grund meiner Schufa-Auskunft Probleme hatte, eine neue Wohnung zu finden. Zu diesem Zeitpunkt war ich selbst in einer ziemlich depressiven Stimmung. Ich habe mich in meine Arbeit gestürzt und mich Vollzeit um das Ehepaar gekümmert. Um nicht in dieser Spirale stecken zu bleiben, war ich auf der Suche nach etwas, das ich wieder für mich machen kann. So habe ich 2022 dann mit der jetzigen Ausbildung angefangen.
Wie haben die finanziellen Schwierigkeiten dein Leben und deine Ausbildung beeinflusst?
Es ist sehr schwierig von den 900 € Nettoausbildungsgehalt die Miete zu finanzieren und erst recht Geld zu sparen, um eine Kaution oder andere Ausgaben wie Möbel und Umzugskosten zu bewältigen. Durch die Inflation zahlt man aktuell für extrem kleine Wohnungen bereits bis zu 800€, somit geht fast das ganze Ausbildungsgehalt nur für die Miete drauf. Dazu kommt noch Strom, Internet, Handy, Versicherungen, Essen und vieles mehr. Nur weil man wenig verdient, sollte es trotzdem möglich sein, Dinge zu tun, die einem Freude bereiten wie z.B. ins Kino zu gehen. Aber das geht oft nicht, wenn man jeden Cent zweimal umdrehen muss. Weitere Herausforderungen sind mein Haustier sowie mein Schufa-Eintrag. Mit geringem Einkommen wird man sofort in eine Schublade gesteckt.
Auch von den Behörden wird man oft im Stich gelassen. 10 Monate Wartezeit auf das Wohngeld ist verdammt lange und viel Geld, das in dieser Zeit zusammenkommt, auch wenn es anschließend nachbezahlt wird. Die Not ist ja aktuell vorhanden. Prinzipiell ist es sehr schwierig mit der Bürokratie. Wohngeld kann man erst beantragen, wenn man für das BAB (Anmerkung der Redaktion: Berufsausbildungsbeilhilfe – finanzieller Zuschuss der Bundesagentur für Arbeit (BA) während der Ausbildung unter bestimmten Voraussetzungen) abgelehnt wurde. Somit braucht es eine massive Vorlaufzeit und viel Wissen, um rechtzeitig die notwendigen Formulare für eine finanzielle Unterstützung einzureichen.
Möchtest du mir noch mehr über deine finanzielle Situation bereits vor der Ausbildung erzählen?
Ich bin die älteste von drei Kindern. Meine Mama war alleinerziehend. Es war nie Geld da, um in den Urlaub zu fahren bzw. um sich sonst irgendetwas leisten zu können. Die Väter sind in keiner Weise für die Finanzierung ihrer Kinder aufgekommen. Auf Grund unserer Armut haben wir oft wochenlang nur Schmalzbrot gegessen. Ich habe deswegen früh mit Babysitten angefangen. Mein Taschengeld habe ich meiner Mutter gegeben oder bin selbst einkaufen gegangen, um ausnahmsweise Käse oder etwas Anderes als Schmalzbrot oder Nudeln mit Maggi und Zwiebeln essen zu können. Meine Mama hat oft geweint, weil es ihr unangenehm war, dass sie ihre Kinder nicht gut versorgen konnte.
Ich habe nie gelernt wie man spart, da nie etwas übrig war. Das musste ich mir alles erst selbst beibringen.
Nachdem ich volljährig wurde, habe ich Verträge für meine Mutter abgeschlossen, da ich im Gegensatz zu ihr solvent war. Nachdem sie dann aber nicht zahlen konnte, bin ich ebenfalls in ihre Schulden mit reingerutscht. Daher kommt auch mein Schufa-Eintrag. Ich habe es durch extreme Einschränkungen geschafft, die Schulden meiner Mutter zurückzuzahlen. Teilweise habe ich Monate lang nur Nudeln mit Ketchup oder Reis mit Gemüse gegessen. Für mich war es nur wichtig, dass meine Schulden und die Anzahl der Gläubiger:innen weniger wurden. Niemand fragt einen aber wie es zu den Schulden gekommen ist, ob man sie einfach nur geerbt hat oder durch Naivität diese aufgedrückt bekommen hat. Du hast Schulden und somit einen Eintrag und damit bist du dauerhaft stigmatisiert.
Hast du in der Schule oder der Ausbildung Unterstützung durch finanzielle Bildung erhalten?
In der Schule und während der Ausbildung gab es keine Infos über finanzielle Bildung. Dabei sind Themen wie Steuern und Versicherungen sowie der Umgang mit Geld wichtige Themen, die man Kindern beibringen sollte.
Erst sehr spät wurde uns von schulischer Seite mitgeteilt, dass Schüler BAB beantragen können, wobei sich die Beantragung auch als sehr kompliziert herausgestellt hat und mit der Umstellung zum Bürgergeld noch komplizierter wurde.
Wie denkst du könnte man Auszubildende besser unterstützen?
Man sollte Wege finden, um die WeGebAU Förderung (Anmerkung der Redaktion: Weiterbildung Geringqualifizierter und beschäftigter älterer Arbeitnehmer in Unternehmen) auszuweiten z.B. auch für Menschen die länger als 6 Monate als Pflegehelfer:in gearbeitet haben. Auch ein gut zurückzahlbarer Kredit könnte helfen, ähnlich wie Bafög, so dass mehr Menschen dafür qualifiziert sind.
Ich glaube, dass viel mehr Menschen sich trauen würden, nochmals eine Ausbildung anzufangen oder sich weiterzubilden, wenn die finanziellen Ängste durch Verdienstausfälle nicht so massiv wären. Es ist schade, dass so Menschen vielleicht in einem Beruf feststecken, der ihnen überhaupt keinen Spaß macht, weil sie Angst vor den finanziellen Schwierigkeiten haben.
Hast du noch einen Tipp für Menschen, die eine Ausbildung neu angefangen haben und mit der finanziellen Situation kämpfen?
Suche dir lieber ein WG-Zimmer oder ziehe mit Freunden in eine Wohnung anstatt alleine. Es ist immer hilfreich, die Kosten aufteilen zu können. Nutze die Hilfe von Freunden oder Familie. Vielleicht kannst du bei jemandem günstig wohnen. Wichtig ist, gib nie auf und versuche, möglichst viele Informationen zu Unterstützungsmöglichkeiten zu bekommen.
Vielen Dank für das Interview.
Das Interview führte Mirjam Messingschlager. Das Interview wurde in einer gekürzten Fassung veröffentlicht.