„Es ist nie zu spät, sich mit Geld auseinanderzusetzen“
Wie kann man Frauen zu neuem Geldbewusstsein ermutigen? Mit ihrem Buch „Auf Kosten der Mütter“ möchte die Soziologin Dr. Birgit Happel alte Rollenbilder aufbrechen. Sie greift sowohl strukturelle Probleme als auch den individuellen Umgang mit Geld auf. Wir haben mit ihr gesprochen.
Wie kam die Idee zu dem Buch „Auf Kosten der Mütter“?
Mit der ökonomischen Situation von Frauen beschäftige ich mich ja schon sehr lange, eigentlich mein ganzes Berufsleben lang. Sie war auch der Ausgangspunkt meiner Dissertation zum Umgang mit Geld aus lebensgeschichtlicher Perspektive. Als dann die Anfrage des Kösel-Verlags kam, dachte ich zuerst, es ist doch schon längst alles gesagt. Aber gerade der zunehmenden Individualisierung struktureller Probleme etwas entgegenzusetzen, hat mich angesprochen. Und den Zusammenhang von Geld und Lebensgeschichte noch einmal in lesbarer Form wiederzugeben, gefiel mir auch.
Foto: Alexandria Singler
In Ihrem Buch lassen Sie einige Frauen und ihre persönlichen Geldbiografien zu Wort kommen. Welche Geschichte / welches Gespräch hat Sie am meisten beeindruckt?
Die sind natürlich alle aus einer unterschiedlichen Perspektive geschrieben und nicht vergleichbar. Aber die Lebensgeschichte von Anja, die nach dem tragischen Unfalltod ihres Mannes jahrelang die emotionale Achterbahn ihrer Töchter aufgefangen und dafür ihre eigenen beruflichen Ambitionen zurückgestellt hat, finde ich schon sehr bewegend. Vor allem natürlich ihren Neustart als Therapeutin und Verkehrspädagogin. Die emotionale Arbeit bleibt im Verborgenen und verdient eine besondere Wertschätzung. Auch die Geschichte meiner Interviewpartnerin Claudia, die ich schon für die Dissertation analysiert habe, beeindruckt mich nach wie vor. Der häuslichen Enge im dörflichen Umfeld hat sie kurzerhand eine Selbstständigkeit entgegengesetzt, mit der sie Beruf und Familie endlich vereinbaren konnte.
In Ihrem Buch gibt es zahlreiche Tipps, wie Paare und Familien über Geld sprechen können. Grundsätzlich sind wir Deutschen ja ziemlich schlecht, wenn es darum geht, Geld zu thematisieren. Haben Sie das Gefühl, dass es in den letzten Jahren besser geworden ist?
Ja, das denke ich auf alle Fälle. Allein die mediale Berichterstattung hat sich verändert und es gibt über die sozialen Medien viel Content und Informationen zum Thema Finanzen. Auch die Forschung zu den Gender Gaps offenbart, dass es sich hier um ein Thema mit langfristigen Folgewirkungen handelt, um das man keinen Bogen machen sollte. Jungen Paaren sind die Fallstricke der ungleichen Verteilung der Sorgearbeit inzwischen etwas mehr bewusst, aber es besteht nach wie vor die Gefahr, dass die Rollenverteilung schleichend in alte Muster rutscht und sich spätestens ab der zweiten Elternzeit zementiert.
Wann ist der beste Zeitpunkt, um sich mit dem Thema Geld zu beschäftigen bzw. für welche Frau würden Sie Ihr Buch empfehlen?
Einerseits können wir nie früh genug damit anfangen, unsere eigene finanzielle Zukunft in die Hand zu nehmen. Deshalb würde ich mir wünschen, dass schon junge Frauen sich mit Geld, dem Aufbau eines Finanzpuffers und Vermögensanlagen beschäftigen. Gerade damit sie in Zeiten, in denen sie später vielleicht Fürsorgeverantwortung übernehmen und ihre finanzielle Unabhängigkeit nicht uneingeschränkt aufrechterhalten können, schon einen Vermögensgrundstock aufgebaut haben. Aber es ist bekanntlich nie zu spät, sich mit Geld auseinanderzusetzen, insofern ist das Buch für alle Frauen geschrieben, die ihr Geldbewusstsein positiv ausrichten wollen.
In Ihrem Buch sprechen Sie auch die Kosten des Kinderhabens an. Welchen Tipp finden Sie für frischgebackene Eltern am wichtigsten?
Gerechte Rollenverteilung, aber auch Transparenz beim Thema Geld. Dazu gehört ebenfalls, über das Machtgefälle zu sprechen, das im sogenannten Zuverdienstmodell entstehen kann. Und natürlich die Kompensation von unbezahlter Arbeit durch den Partner, die Partnerin.
Care-Arbeit wird aktuell noch häufig von Frauen übernommen ohne dass sie dafür honoriert werden. Was wäre in dem Bereich Ihr größter Wunsch?
Die Care-Arbeit braucht einen Wert und sie muss im Bruttoinlandsprodukt ausgewiesen werden. Weil sie eine grundlegende Voraussetzung für das Erbringen aller anderen Wirtschaftsfaktoren ist. Also mein Wunsch ist, dass wir die unsägliche Trennung von produktiver und reproduktiver Sphäre aufheben und Care-Arbeit als Arbeit ansehen. Wirtschaft und Gesellschaft profitieren unbestritten von der Übernahme unbezahlter Arbeit in den Familien. Das muss honoriert werden.
Welchen Stellwert messen Sie der finanziellen Bildung bei?
Einen zentralen Stellenwert. Zum einen geht es dabei um Chancengerechtigkeit, weil der Zugang zu finanzieller Bildung noch zu sehr vom Zufall abhängt und auch eng mit der sozialen Herkunft verknüpft ist. Zum anderen ist es hilfreich, zu erkennen, dass unsere Lebens- und Finanzentscheidungen aufs Engste miteinander verknüpft sind und wir mit den richtigen Schritten die Weichen für unser Leben von morgen heute entscheidend beeinflussen können.
Vielen Dank für das Interview.