
„Süßes Leben – überquellende Kinderzimmer“ – ein Schuldenpräventionsprojekt der Caritas München
Das Projekt „Süßes Leben – überquellende Kinderzimmer“ setzt sich mit dem Thema Konsumbewusstsein in der Erziehung auseinander. Ziel ist es, Eltern und Erziehende dabei zu unterstützen, das Konsumverhalten von Kindern besser zu verstehen und bewusster zu gestalten. Dabei werden mögliche Ursachen und Verhaltensmuster beleuchtet, die das Kaufverhalten beeinflussen können. In diesem Interview sprechen wir mit Christine Steinle über Hintergründe, Erfahrungen und mögliche Lösungsansätze.
Wie ist die Idee zu diesem Projekt entstanden?
Die Landeshauptstadt München hat bereits im Jahr 2003 zu neuen Ideen und Projekten im Bereich der Schuldenprävention aufgerufen.
Aus der Schuldner- und Insolvenzberatungsstelle der Caritas München Mitte kam der Ansatz zu Konsumerziehung von Anfang an unter Einbeziehung der Eltern, den pädagogischen Fachkräften sowie relevanten Fachstellen.
Wir arbeiten seit 20 Jahren sehr erfolgreich mit Kindertagesstätten, Bildungsstätten für Erwachsene und Schulen in der Stadt zusammen.
Was ist das Ziel des Projekts? Wen möchten Sie damit ansprechen?
Wir sprechen mit unserem Projekt alle Haushalte und Einrichtungen an, die mit der Erziehung und Bildung von Kindern und Jugendlichen von 0- 18 Jahren betraut sind.
Unser Ziel ist die Befähigung von Erziehenden, sich ihrer Vorbildfunktion bewusst zu werden sowie Überhäufung, Überfluss und Gefühle im Alltag wahrzunehmen. Im Vordergrund steht die Stärkung der Konsum- und Finanzkompetenz von Kindern,
Jugendlichen und Familien.
Warum haben Sie das Thema „süßes Leben – überquellendes Kinderzimmer“ gewählt?
Schnell gekaufte Ware, die dann zuhause keiner mehr braucht, häufige Belohnungen mit Süßigkeiten, Geschenken oder auch Geld, um die Kinder vermeintlich bei Laune zu halten, Situationen, die Kindern das Leben stets so angenehm wie möglich
machen sollen und dadurch das eigentliche Ziel verfehlen. Der Titel soll Assoziationen und Gedanken zu unserem Hauptthema Kinder und Konsum herstellen.
Welche gesellschaftlichen Aspekte spielen hier eine Rolle?
Familien sind häufig großen Belastungen ausgesetzt. Doppelbelastung, Alleinerziehende, Niedrigeinkommen, hohe Mieten, zu wenige Betreuungsplätze, Beziehungsstress… setzen das System Familie unter Druck.
Konsum kann hier sowohl eine demonstrative als auch eine kompensatorische Rolle spielen.
Zum einen soll gezeigt werden, dass man dazu gehört – oft über die Kinder; zum anderen lenkt Konsum in manchen Situationen von der Lösung der eigentlichen Probleme ab.
Wie läuft das Projekt ab? Welche konkreten Schritte und Aktionen gibt es?
In den Kindertagesstätten bieten wir zweistündige Info-Veranstaltungen für Eltern an. Neben einem Input zur kindlichen Konsumentwicklung von Geburt an, können die Eltern Fragen stellen und mit der Gruppe über Taschengeld, Belohnungen,
Kindergeburtstage, Kinderkurse, Medien usw. diskutieren. Die Mitwirkung der pädagogischen Fachkräfte ist sehr erwünscht. Sie prüfen die Inhalte der Veranstaltung für den Kita-Alltag und können diese integrieren. Vorschüler:innen finden in einer 45 Minuten Einheit durch das Theaterstück „Potz Tuusig“ einen interaktiven Einstieg in die Welt des Konsums.
Was haben Sie bei der Projekt-Arbeit über das Konsumverhalten von Familien gelernt?
Eine wichtige Erfahrung war und ist, das große Bedürfnis, über das Thema Geld und Konsum zu sprechen.
Im geschützten Raum wird offen und sehr interessiert gesprochen und diskutiert.
Häufig leiten Gefühle Konsumentscheidungen in den Familien. So werden immer wieder, um Neid und Eifersucht zu vermeiden, an Geburtstagen allen Kindern in der Familie Geschenke gemacht. Am ersten Schultag bekommen alle eine Schultüte. Belohnungen sollen die Bereitschaft, Kurse zu besuchen, steigern, in Gaststätten oder Verkehrsmitteln sind die neuen Medien beliebte Helfer gegen Langeweile …
Das kann einer gesunden Resilienzbildung im Wege stehen und weckt Wünsche nach immer neuen Ablenkungen.
Warum ist die Einbeziehung der Erzieher:innen so wichtig?
Die Einbeziehung des Kita-Teams fördert die Selbstreflexion der Erzieher:innen; sie lernen auf den Veranstaltungen aber auch die Sichtweisen, Sorgen und Ansprüche der Eltern aus nächster Nähe kennen – die gute Praxis kann dadurch besser gefördert werden.
Kinder verbringen täglich viele Stunden in den Kitas. Der Einfluss und die Vorbildfunktion der Erzieher:innen haben einen wesentlichen Anteil an der kindlichen Entwicklung.
Können Sie eine Geschichte aus dem Projekt erzählen, die Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben ist?
Ja, da fällt mir tatsächlich sofort eines ein!
Ein Junge wurde zu seinem 5. Geburtstag, zusammen mit seinen Freunden, in einer Stretch-Limousine zu einem Indoor-Park gefahren! Dort wurde dann der Kindergeburtstag gefeiert…
So ein Beispiel zeigt, welcher Aufwand manchmal betrieben wird, um den vermeintlichen gesellschaftlichen Ansprüchen eines „modernen“ Kindergeburtstages zu entsprechen.
Selbstgebackener Kuchen, Spiele oder Schatzsuche? Manche finden das zu einfach, wollen etwas bieten und mithalten können – um jeden Preis.
Welche positiven Veränderungen konnten Sie bei den Familien beobachten, die am Projekt teilgenommen haben?
Messbar sind für mich Rückmeldungen von Teilnehmer:innen unmittelbar nach den Veranstaltungen und die Maßnahmen der Erzieher:innen, die aus dem Input Impulse für den Kita-Alltag übernehmen.
Für viele ist es eine Erleichterung zu sehen, dass andere Eltern ähnliche Gedanken und Sorgen haben und dass sie nicht alles übernehmen müssen, was gesellschaftlich gerade angesagt ist.
Giveaways an Kindergeburtstagen zum Beispiel, die manchmal genauso viel kosten, wie das Geschenk für das Geburtstagskind.
In den Kitas ist Entschleunigung oft ein Thema und der Fokus auf „weniger ist mehr“. Neue Ansätze findet man z. B. in der spielzeugfreien Zeit in den Sommermonaten. An besonderen Jahrestagen bzw. Geburtstagen, können neue, kreative Ideen, die die Kinder aktiv mit einbeziehen, gekaufte Geschenke ersetzen.
Wie sieht die Zukunft des Projekts aus? Gibt es Pläne für eine Weiterentwicklung oder Ausweitung?
Das Projekt entwickelt sich stetig weiter. Wir bieten inzwischen auch Teamtage für pädagogisches Fachpersonal in den Einrichtungen an. Tage, an denen Selbstreflexion und die Weiterentwicklung der Konsumthemen mit Kindern und Eltern im Kita-Alltag im Vordergrund stehen.
Wir gehen in Elterncafés in Grundschulen, besuchen Bildungslokale mit hohem Migrationshintergrund in verschiedenen Stadtteilen Münchens und sind mit einer ganztägigen Einheit zum Thema Schuldenprävention fest im Grundlagenseminar für Schuldnerberater:innen der Caritas integriert. Dieses findet im zweijährigen Rhythmus im Haus St. Ulrich in Augsburg statt.
Welche Botschaft möchten Sie Familien mit auf den Weg geben?
Ich wünsche mir, dass Familien wieder mehr auf ihr Bauchgefühl hören. Geld soll kein Tabuthema sein! Reden Sie offen und ehrlich mit ihren Kindern über: Was brauche ich wirklich und auf was kann ich verzichten?
Bitte geben Sie Ihren Kindern Taschengeld!
Eigenes Geld in Händen zu haben, ist ein wichtiger Meilenstein, auf dem Weg zu einem kritischen und verantwortungsvollen Konsumleben.
Gibt es ähnliche Projekte auch in anderen Städten?
Direkt als Projekt für Kinder unter sechs Jahren, ist mir derzeit nur „bricklebrit“ in Berlin bekannt.
Die meisten Schuldenpräventionsprojekte für Kinder und Jugendliche beginnen erst ab dem Schulalter.
Wie können Interessierte am Projekt teilnehmen?
Für Terminanfragen erreichen Sie mich am besten per Mail. Themenbezogene Anfragen oder auch Unterstützung bei der Entwicklung von weiteren Projekten zum Thema frühe Konsumerziehung sind bei mir jederzeit willkommen.
Vielen Dank für das Interview.
Christine Steinle
Dipl. Sozialpädagogin (FH)
Kinder und Konsum
Schuldenprävention und Beratung
Mail: christine.steinle@kinder-und-konsum.de
Tel.: 0176 21300041
Im Auftrag der Landeshauptstadt München und Caritas München Mitte